Grünes Dach Radweg

Von Hof/Saale zum Dreiländereck und über das Grüne Dach zum Nationalpark Bayerischer Wald. Eine zu unrecht kaum bekannte Fernradtour.

Grünes Dach Radweg

Grünes Dach Radweg zwischen Hof und Hohenberg

Einige Fakten
Gesamtlänge: 315 km
Profil: 5000 Höhenmeter
Höchster Punkt: Brennes Sattel 1030 Meter ü.N.N
Tagesetappen: 60 – 80 km
Dauer: 5 – 6 Tage
Wichtigste Orte an der Strecke
Hof/Saale, Hohenberg/Eger, Waldsassen, Flossenbürg, Pleystein, Eslarn, Cham, Bayerisch-Eisenstein

Die Tour im Mai 2010
Anreise mit dem Zug über Nürnberg direkt nach Hof/Saale. Alleine die Bahnfahrt durch das kurvige Pegnitztal und das Fichtelgebirge ist schon ein Erlebnis. Am Bahnhof ist die Orientierung für Radfahrer nicht schwer. Ein gut sichtbarer Wegweiser zeigt die Richtung zum Saale-Radweg an. Dieser ist auch der Ausgangspunkt für den grünes Dach-Radweg.
Das bepackte Rad schiebend überquere ich an der Post die Straße, als mich eine Frau anspricht „fahren Sie die Saale entlang zur Elbe?“ Ich muss schmunzeln, denn hier fahren fast alle den Saaleradweg nach Norden. „Nein, ich möchte erst zum Fernwehpark und dann übers Grüne Dach zum Nationalpark Bayerischer Wald“. Die Frau ist nur kurz etwas verwirrt, meint dann „der Fernwehpark ist nicht weit, der Nationalpark aber schon. Sie suchen wohl die Einsamkeit der Strecke? Viel Spaß und ein herzliches Grüß Gott!“ Ein solcher Wunsch von einer rüstigen Oberfränkin soll nicht verkannt werden.

Fernwehpark Hof/Saale

Start im Hofer Fernwehpark

Der Fernwehpark unweit des Saaleufers ist mit seinem bunten Schilderwald ein Art Symbol für Frieden, Zusammengehörigkeit und Völkerverständigung. Dieser „Signs of Fame“ wurde am 9.11.1999, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer errichtet. Inzwischen sind unzählige Schilder dazu gekommen und verleihen dieser Anlage einen gewissen Kult-Status. Ein schöner Ort zum Start einer Fahrradreise.

Tag eins von Hof nach Hohenberg/Eger ca. 73 km

Man kann sich dem Dreiländereck (Bayern-Sachsen-Tschechien) auf vielen Wegen nähern. Der Vogtlandradweg, etwa 13 km vom südlichen Hofer Stadtrand ist für Radler ein sehr angenehmer. Ruhige Seitenstraßen, kleine und urige Dörfer und eine gute Aussicht auf das Fichtelgebirge.

Wegweiser Grünes Dach Radweg

Gute Beschilderung an der Strecke

In Regnitzlosau sollte man an jeder Kreuzung genau aufpassen, sonst verliert man die Schilder aus den Augen. Über Schwesendorf gelangt man in das kleine Dorf Prex. Nach etwa einem Kilometer erreicht man, zum Schluss sehr steil bergab, das idyllische Dreiländereck am Wasser der noch jungen Südlichen Regnitz. Kurz davor das Grab eines unbekannten Soldaten mit schlichtem Holzkreuz und Stahlhelm wird keinen ungerührt lassen. Gefallen in der Sinnlosigkeit des letzten Krieges. Bunte Wegweiser auf der Tschechischen Seite lassen die Wanderbegeisterung unserer Nachbarn erahnen. Jahrzehntelang war hier ein eiserner Vorhang, jetzt können wir wieder ungehindert die Grenzen überqueren.

Am Dreiländereck

Am Dreiländereck

Die wahre Topographie der Strecke zeigt sich gleich von Anfang an. Manche Bergstaffel gilt es zu überwinden. Es führen nicht nur viele Wege nach Bayern sondern auch durch Bayern. Am Ende steht sicher ein Reichtum an Erlebnissen. Diese Route, das merkt man auf den ersten Kilometern, wird nur selten befahren. Zu unrecht!
Immer wieder führt der Radweg direkt neben der tschechischen Grenze entlang. Manchmal sind es keine zwei Meter vom Straßenrand ins Nachbarland. Wo vor einigen Jahren noch schwer bewaffnete Grenzwächter auf der „Ostseite“ unterwegs waren, fahren heute ungehindert die Bauern mit ihren Traktoren „rüber“ und mähen die Wiesen. Vor mir liegt teilweise leeres Land. Das kleine Sträßlein wird noch „nebensächlicher“. Über die dunklen Höhenzüge sieht man immer wieder weit nach Böhmen hinein. Von Besiedelung ist hier kaum was zu sehen. In den Wäldern ist der Belag häufig naturbelassen. Ansonsten hat man häufig glatten Asphalt unter den Rädern.
In Silberbach ist es  nicht leicht den Weiterweg zu finden. Ich muss zweimal hin- und herfahren bis ich endlich das versteckte Schild an einem Gartenzaun entdecke. Warum nicht direkt an der Kreuzung montiert, dass man es sofort erkennt…? Unten im Talgrund erreiche ich die Eger. Dunkle Schieferfelsen zeigen das Alter des Mittelgebirges an: Uralt!

Hohenberg an der Eger

Burg Hohenberg / Eger

Ein letztes Waldstück, dann über einen Wiesenweg und gegenüber am Hang liegt Hohenberg mit seiner stolzen Burg. Den ganzen Tag traf ich keinen einzigen Radreisenden. An der Donau wären es einige hundert gewesen. Es zeigt sich wieder, der Mensch ist ein Herdentier. Und wenn die Radroute einige „Buckel“ hat, dann gehört die Strecke den Genießern. Am nächsten Tag in Tschechien werde ich aber eines besseren belehrt!

Günstig und gut
Mein Quartier hat mir meine „Sekretärin“ gebucht. Es ist ein Volltreffer! Für 22,50 Euro bekomme ich kein normales Einzelzimmer sondern eine kleine Ferienwohnung mit einem Badezimmer das einer kleine Wellnessoase gleicht. Das Frühstück am nächsten Tag ist überragend. Dem Haus muss ich mindestens drei Sterne geben, den Quartiergebern gebe ich fünf Sterne!
Von der sehr gut erhaltenen Burganlage hat man einen tollen Blick über das hügelige Sechsämterland und den Böhmerwald. Im Gasthof neben der Burg bekam ich eine hausgemachte Suppe und Rindsrouladen mit Böhmischen Knödel und Beilagensalat serviert. Eine ideale Stärkung nach rund 70 km Radlfahrt. Der Küchenchef bekam ein dickes Lob und er bekräftigte nochmals „alles selbst gemacht, sogar die Soße!“ Der Preis mit einer frischen halbe Bier und einem Stamperl Sechsämtertropfen: keine 15 Euro!

Tag zwei von Hohenberg nach Pleystein ca. 100 km
Gut gestärkt und mit herzlichen Glückwünschen verabschiedet radelte ich wieder ganz alleine am östlichen Fichtelgebirge entlang. In Mammersreuth verlasse ich die Originalroute und nutze den Übergang für Radler und Fußgänger hinüber nach Hrozňatov, dem ehemaligen Altkinsberg. Die Attraktion ist die Wallfahrtskirche

Wallfahrtskirche Maria Loreto

Wallfahrtskirche Maria Loreto

Maria Loreto. Ein kurzer, steiler Anstieg, vorbei an der Burg, führt direkt zur wunderschön gelegenen Kirche hin. Der restaurierte Friedhof mit Meditationsgarten und Barockskulpturen finden sich ebenfalls auf dem Gelände. In der Vergangenheit war Maria Loreto eine der meistbesuchten Wallfahrtskirchen Westböhmens. Schauen, bummeln, ein nettes Gespräch mit anderen Besuchern; dann geht es weiter an der Grenze entlang.
Der Böhmerwald ist zu schade zum Rekorde-Fahren. Eine sehr einsame Landstraße führt über Kozly und Mŷtina. Hier ist die verfallende Kaserne mit dem „heroischen Kämpfer“ nur ein trauriges Stück Geschichte. Zurück nach Bayern führt der alte Weg der Grenzwächter. Am Grenzübergang wieder der Hinweis „nur für Fußgänger und Radfahrer“ erlaubt. Kein Lärm und Gestank – ein besonderes Grenzgeschenk!
Neualbenreuth heißt das Grenzdorf auf bayerischer Seite. Eine ruhige, aber sehr buckelige Straße, verläuft über Mähring nach Bärnau. Als ob diese Steigungen noch nicht genug wären. Der nächste lange Anstieg zur Silberhütte steht an. Mit kleiner

Endlich oben

Endlich oben

Übersetzung fährt es sich doch sehr angenehm, der Tacho zeigt selten über 10 km/h, da bleibt viel Zeit die Waldberge zu bewundern. Der Wegweiser Silberhütte ist erreicht.

Flossenbürg
Weit reicht der Blick hinaus ins Waldnaabtal. Jeder Berg hat ‚ein dahinter‘. Eine flotte Abfahrt in Richtung Flossenbürg verlangt dosiertes bremsen. Spätestens in diesem Ort sollte man stark bremsen (es geht dauernd bergab), denn auf der linken / südlichen Seite der Hauptstraße liegt die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Von Auschwitz, Bergen-Belsen oder Dachau hat fast jede/r schon etwas gehört. Dass während der Naziherrschaft hier im Oberpfälzer Wald mindestens 30.000 Menschen den Terror nicht überlebten, wissen dagegen nur wenige. Stumme Zeitzeugen aus Bildern und Stein können sehr nachhaltig wirken. Wenn die umliegenden Hügel erzählen könnten! Das aufgenommene Wissen um diese schrecklichen Geschehnisse lassen hier keinen ungerührt. Nachdenklich fahre ich weiter. Über Waldkirch erreiche ich das idyllische Zollbachtal.

Uriges Quartier
Oberhalb von Pleystein am Fahrenberg liegt mein heutiges Quartier auf einem Bauernhof. Eine Einkehrmöglichkeit gibt es dort nicht, dafür absolute Ruhe und einen wunderbaren Blick über die Berge des Oberpfälzer- und Böhmerwaldes. In Neuenhammer, an der Kreuzung, lädt der Gasthof Hammerwirt zum Essen ein. Auch hier wird sehr schmackhafte Hausmannskost serviert. Suppe, Hauptspeise mit Salat und ein frisches Weißbier für 9,40 Euro. Zur Gaudi sende ich eine SMS zu meinem Freund nach Finnland. Seine Antwort kam relativ schnell. Finnen sind nie ohne Handy. Er hielt den Preis für einen absoluten Scherz!
Die letzten zwei Kilometer waren eine einzige Steigung. Meist gut zu fahren, doch mit vollem Magen kein Genuss. Also wieder mal schieben, das entspannt die Beinmuskeln ungemein und man kommt trotzdem vorwärts. Dafür entschädigt meine Unterkunft für die Mühe. Eine ganze Wohnung wir mir angeboten. Der Preis mit Frühstück und Radlerbrotzeit 20 Euro! Ich sende jetzt keine weitere SMS nach Finnland. Die Antwort kann ich mir eh denken.
Wieder hat meine Frau gut gearbeitet und ein ideales Quartier rausgesucht. Schön, wenn man mal sein eigener Kunde sein kann.

Tag drei von Pleystein nach Cham ca. 95 km

üppiges Radlerfrühstück

üppiges Radlerfrühstück

Die Gastgeber glaubten ich sei am Verhungern. Das Frühstück würde einer Familie reichen, doch ich bin alleine unterwegs. Gut gestärkt kann ich in den schönen Tag starten.  Sonne-Wolken-Mix bei 22°. Ab Pleystein fahre ich das letzte Stück des legendären Bockl-Radweg bis nach Eslarn. Diese ehemalige Eisenbahnlinie ist mit gut 50 km länge zwischen Neustadt/Waldnaab und Eslarn einer der schönsten Radwanderwege Bayerns. Ohne große Steigungen durchradelt man den Oberpfälzer Wald abseits vom Autoverkehr. Ein Traum! Hinter Eslarn geht’s wieder länger bergauf nach Schönsee. Hier wähle ich nicht die Originalroute sonder folge dem Ascha-Radweg und sehr ruhigen Seitenstraßen nach Rötz an der Schwarzach.

kurz vor Cham, im Hintergrund der Kaitersberg

kurz vor Cham, im Hintergrund der Kaitersberg

In Penfling treffe ich wieder auf die Originalroute. Die letzte lange Abfahrt nach Cham tat nach dem heutigen auf und ab so richtig gut. Diesmal wurde mir ein Zimmer in einem Hotel gebucht. Sehr ruhig gelegen und freundliches Personal machten auch hier den Aufenthalt sehr angenehm. Das Essen hat mich ebenfalls nicht enttäuscht. Zum ersten mal seit Hof treffe ich wieder Radlfahrer. Diesmal Rennradler aus Regensburg. Zwei Tage durch den Bayerwald. Die Augen leuchteten. Auch sie hatten einen schönen Tag erlebt. Eine Gruppe Motorradfahrer versuchte sich im Gastraum durch heroische Erzählungen von 600 km-Fahrten durch Hessen oder die Pfalz zu profilieren. Vergebens, bei Radfahren kommen solche PS-Geschichten nicht an!

Tag vier von Cham nach Bayerisch Eisenstein ca. 70 km

Am Regen bei Cham

Am Regen bei Cham

Diesmal wartete eine kurze Etappe auf mich. Dafür blieb viel Zeit zum schauen und bummeln. Von hier verläuft der Grünes-Dach-Radweg zuerst am Regen entlang. Die hohen Berge des Bayerwaldes kommen immer näher. Das ist fast schon wie Voralpenland, dafür bei weitem nicht so stressig und  hektisch. Der flache Radweg entlang des Flusses Regen lässt mich flott voran kommen, die Richtung ist vorgegeben. Flüsse sind wie Wegweiser. Wer ihnen folgt kann sich nicht verirren.
Am Blaibacher See mündet der Weiße Regen in den Schwarzen Regen. Ich folge dem Weißen Regen nach Kötzting, neuerdings „Bad“ Kötzting. Durch diesen Titel wird vieles nur unnötig teurer, doch dafür fließen Fördergelder in den sonst so klammen Gemeindesäckel. Der ansässigen Spielbank hilft das nicht viel. Sie gehört neben der Spielbank in Bad Steben zu den Schlusslichtern in Bayern und steht vor dem ‚aus‘. Angeblich hat das in Bayern eingeführte strenge(re) Rauchverbot in der Gastronomie Schuld an der Misere. Offensichtlich brauchen die nervösen Spieler viel häufiger den Zug am Glimmstengel als gewöhnliche Restaurantbesucher. Außerdem locken Spielbanken jenseits der Grenze mit günstigen Angeboten und sehr laxer Auslegung des dortigen Rauchverbotes. Was wäre wenn die Spielbank ganz dicht macht? Nix, es bliebe nur das Fazit, dass man sich auch irren kann!

Lamer Winkel

Großer Osser 1293 m

Großer Osser 1293 m

Hinter Kötzting steht der wuchtige Kaitersberg (1132 m) wie ein breiter Torwächter über dem Zellertal. Der Radweg folgt dem Fluss nach Norden, direkt auf den Hohen Bogen zu, ebenfalls ein stolzer „Tausender“. Nach Grafenwiesen erreiche ich den Lamer Winkel, ein idyllisches Hochtal zwischen den mächtigen Bayerwaldbergen Großer Osser (1293 m) und Großer Arber (1455 m).
Häufig verlauft der Radweg am Bahngleis der Oberpfalzbahn. Einem schriller Pfiff aus dem Wald folgt ein flott vorbeifahrender gelber Zug. Es ist Mittagszeit, der Zug ist voll mit Schulkindern besetzt. Am Haltepunkt Watzlsteg überrascht mich ein Gewitter. Zum Glück ist das Dach vom Wartehäusl dicht und ich bleibe trocken. Wieder ein Pfiff und kurz darauf kommt der Zug aus der Gegenrichtung. Mit meinem bepackten Radl werde ich von den aussteigenden Kindern kurz wahrgenommen. Die Türen schließen sich und der Zug fährt ab. Kurz darauf rennen zwei Mädels zur Haltestelle. Als sie die roten Rücklichter vom Zug sahen, hörte ich sie kurz und heftig fluchen.

weg ist der Zug

weg ist der Zug

„Ze…ix, dass dea Zug a oiwei pünktleh sei muaß…“ Der Waidler-Dialekt macht mir Spaß. Ob der Zug „oiwei in da Zeit‘ is“, wollte ich wissen. „Jou, fast oiwei und mai miass’n oiwei a so renna…“ wird mir gesagt. Wollte nur noch wissen was sie jetzt machen? „Jetz‘ miaß’ma z’Fuaß hoamlaffa“ kam zur Anwort. Ob’s recht weit „laffa miaß’n?“ fragte ich, „jou, guatte zwoa Kilometta“. Meine Aufmunterung, dass das doch nicht so arg sei, half nicht wirklich. Das Gewitter hat sich verzogen und die Sonne brennt sich wieder durch die Wolken. Weiter radle ich tiefer in den Lamer Winkel hinein. Eine Bärwurz-Brennerei wirbt mit großen Schildern um Kundschaft. Reichlich Parkflächen vor dem Gebäude zeugen von großer Nachfrage. Doch als ich mir die Schaufenster anschaue sehe ich das Schild >geschlossen<. Mittagsruhe ist angesagt. Erst nach 14:00 Uhr gibts wieder ein Schnapserl.

Hinauf zum Brennes Sattel

Grünes Dach Radweg's höchster Punkt

Grünes Dach Radweg's höchster Punkt

Für mich wäre jetzt eh der falsche Zeitpunkt für einen Bärwurz. Immer noch verläuft der ruhige Radweg nur ganz leicht steigend dem Talende entgegen. Irgendwann muss es aber noch richtig bergauf gegen, wartet doch mit dem Brennes-Sattel der höchste Punkt auf dem Grünes-Dach-Radweg. An duftenden Kräuterwiesen vorbei erreiche ich Sommerau. Die Hauptstraße mit den lärmenden und rasenden Motorradpulks liegt schon weit hinter mir. Um mich nur noch ländliche Idylle. Plötzlich taucht ein Gleitschirmflieger auf und landet in weitem Bogen in der Kräuterwiese. Das dürfte dem Bauern sicher nicht gefallen. Mehr sinnieren geht nicht, muss mich jetzt auf die erste steile Rampe konzentrieren.

Hier beginnt sie, die lange Auffahrt Richtung Großen Arber. Die Kette läuft vorne über das kleinste und hinten über’s größte Ritzel. Berggang. Das Gepäck zieht zusätzlich nach hinten, es wird anstrengend. Noch komme ich gut vorwärts, es wird auch wieder etwas flacher. Als die Asphaltdecke endet empfängt mich schattiger Wald. Gleichmäßig tretend komme ich ganz gut vorwärts. Ein Schild taucht auf ‚kleiner Arbersee‘ steht darauf. Die Richtung stimmt. Dann wird es richtig steil. Die nächste Kurve ist nicht zu sehen, ein klassischer ‚Stich“. Mein Ehrgeiz nicht abzusteigen ist gering. Schieben lockert die Muskulatur und schadet nicht. Es sind sicher gut 15%  Steigung. Endlich erreiche ich die Kehre mit der Abzweigung zum kleinen Arbersee. Kaum bin ich die ersten Meter geradelt, kracht ein Donnerschlag durch den Hochwald. Ein weiteres Gewitter ist im Anmarsch. Dunkle Wolken schieben sich schnell über den Arberkamm. Wind kommt auf und es wird wohl gleich regnen. Ich kehre um und hoffe dass ich es noch bis zum Berggasthof Mooshütte schaffe. Doch das Gewitter ist meistens schneller, so auch jetzt. Die ersten schweren Regentropfen klatschen regelrecht runter. Hektisch wühle ich die Regenklamotten aus den Packtaschen. Der Regen ist schneller. Als ob jemand eine Schleuse geöffnet hätte. Ein Wolkenbruch prasselt auf mich nieder. Schon recht feucht geworden ziehe ich den Regenanzug über. Zum Fahren habe ich keine Lust, also schiebe ich im Regen weiter. Doch so schnell wie das Unwetter kam, so rasch ist es wieder vorbei. Die fast schwarze Wolkenwand zieht weiter nach Osten zum Grenzkamm. Die Luftfeuchte ist bei 100%, da hilft keine ‚atmungsaktive Schutzkleidung‘. Der Wasserdampf kondensiert trotzdem auf der Innenseite der Kleidung – die Physik setzt den Textiltechnikern unüberwindbare Grenzen. Am Berggasthof angekommen hört der Regen auf. Der Wirt macht deshalb kein Geschäft mit mir. Das Schieben auf dem ruhigen Waldweg macht inzwischen Spaß, so gehe ich neben dem Radl bis zur Hauptstraße hinauf. Kurz darauf erreiche ich den Brennes-Sattel auf 1030 Metern höhe. Die Sonne scheint wieder vom blauen Himmel. Die Wetterfront ist endgültig durch. Der Große Arber zeigt mir seine geschundene Ostseite. Wie ein Krebsgeschwür haben sich die breiten Schneisen der Skipisten durch den Hochwald gezogen. Während die übrigen Bergwiesen saftig blühen sind die Rasenreste der Abfahrten grau und braun. Massive Naturzerstörung für ein fragwürdiges Vergnügen: Skifahren. Stundenlange An- und Rückfahrten mit dem Auto auf überfüllten Straßen, hektisches Gedränge an den Liftanlagen und gefährliches Abfahren auf vollen Skihängen. Man kann es auch kollektiven Wahnsinn nennen. Zum Glück ist Frühsommer. Die riesigen Parkplätze sind verwaist. Dafür rasen in kurzen Abständen Gruppen von Motorradfahren die Paßstraßen rauf und runter. Versteckt hinter verspiegelten Helmvisieren wird ‚die Sau rausgelassen‘, das Gaspedal dient als Frustrationshebel? Ob diese Menschen daheim oder am Arbeitsplatz auch so rücksichtslos sind?

Blick vom Brennes zum Gr. Falkenstein 1312 m

Blick vom Brennes zum Gr. Falkenstein 1312 m

Mit dem Fernglas schaue ich hinüber zum Großen Falkenstein und Rachel, beide Gipfel über dem Wäldermeer des Nationalpark Bayerischer Wald.
Die Felgen werden jetzt noch gründlich geputzt, die lange Abfahrt nach Bayerisch Eisenstein steht bevor. Die Bremsbeläge müssen gut ‚greifen‘, sonst wird’s sogar einem Radler manchmal zu schnell. Weste und Windjacke übergezogen und los geht’s. Knapp 300 km liegen seit dem Start in Hof hinter mir und jetzt habe ich es fast geschafft. Alleine habe ich die breite Straße für mich. Wo sind die Motorradhorden? Anscheinend rasen diese alle rüber nach Bodenmais. Zuerst ist die Straße nur ganz leicht geneigt. Dann kurz vor der ersten Kehre nehme ich Fahrt auf, 35 km/h, 45 km/h, 50 km/h, 55 km/h, 60 km/h, jetzt aber bremsen sonst schaffe ich die Kurve nicht. Tempo runter, doch wie ein Magnet zieht mich die Tiefe an. Sofort zeigt der Tacho wieder über 50 km/h. Herrlich rausche ich lautlos über die Hochwaldstaße. Kurve um Kurve folgt, fast wie in den Alpen. Die ersten Häuser, ein Schild zur Jugendherberge, ich muss bremsen, irgendwo hier ist meine nächste Unterkunft. Die Gemeinde Bayerisch Eisenstein ist weit den Hang hinauf bebaut. Wer zu spät bremst muss mühsam wieder rauf.

Bayerisch Eisenstein am Nationalpark

Bayerisch Eisenstein am Nationalpark

Mein Quartier ist gefunden. Ein sauberes kleines Zimmer bei netten Gastgebern wartet auf mich. Übernachtung mit Frühstück für 15 Euro (!) im Einzelzimmer. Und wieder hat meine Frau gut gearbeitet!
Die Abendsonne strahlt über dem Arber vom jetzt wolkenlosen Himmel. Noch bin ich nicht ganz am Ziel. Zu Fuß gehe ich zum Regenfluss hinunter. Eine Steinbrücke überquert den rauschenden Bergbach. Heute Früh bei Cham floss er breit und gemächlich dahin, hier ist er noch jung und wild. Der verlassene Grenzübergang bleibt ‚links liegen‘, mein Ziel ist der berühmte Grenzbahnhof. Durch das langgezogene Bahnhofsgebäude verläuft mitten hindurch die Staatsgrenze. Vor einigen Jahren wir hier das Ende der Welt, verriegelt durch einen Eisernen Vorhang.
Auf einer Bank vor Gleis „1“ nehme ich Platz. Jetzt bin ich am Ziel. Der Grünes-Dach-Radweg liegt hinter mir.

Fazit: Eine Traumhafte Radreise mit interessanten ‚Grenzgängen‘ in einer einsamen Region im Osten Bayerns. Keinen einzigen Tourenradler traf ich während der vier Tage. Diese Route hat viel mehr Radlfahrer ‚verdient‘.

Preis-Leistungsverhältnis
Auf dieser Route wird der Geldbeutel geschont. Günstige Quartier, freundliche Menschen und Gasthäuser mit üppigen Portionen verwöhnen die Radler

Welches Fahrrad?
Sehr gut sind Touren- oder Trekkingräder mit breiten Reifen. Ein ‚Reise-MTB‘ finde ich persönlich für solche Touren perfekt. Eine gute und bergtaugliche Schaltung sorgt für mehr Komfort. Zuverlässige Bremsen verstehen sich von selbst.

Literatur
Stand April 2011: Keine! Wer bei Amazon den Suchbegriffe „Grünes Dach Radweg“ eingibt, erhält nur den Hinweis auf die Bücher „Radelspass Bayerischer Wald“, „Radeln in Bayern“ und einigen Wanderkarten. Nirgends ist bisher die gesamte Strecke beschrieben.

Veranstalter
www.bayern-radtour.de bietet diese Tour nach dem Motto „eine Radtour ist kein Umzug“ an. Durch den Verzicht auf den unnötigen Auto-Gepäcktransport, ein recht preiswertes Vergnügen.

Übersichtskarte – klicken Sie einfach auf das  Bild

Übersichtskarte Grünes Dach-Radweg

Übersichtskarte Grünes Dach-Radweg

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6 Antworten auf Grünes Dach Radweg

  1. Wollte mal kurz danke sagen, hat mir recht gut geholfen bei meinem Vorhaben, viele Grüße Peter

  2. Lisa Schmidt sagt:

    eine wunderbare Beschreibung, bei der man genau weiß, was einen erwartet. Wer nicht nur eine kurze Übersicht möchte, sondern eine genaue und detaierte Beschreibung ist hier genau richtig. Ich freu mich drauf, alles mal selbst auszuprobieren und meine Heimat von einer neuen Seite zu erkunden.

    Viele Grüße

    Lisa

  3. Durchweg schlüssig und nachvollziehbar beschriebene Routen… Weiter so!!!

  4. Karlheinz Binner sagt:

    Die Beschreibung ist so schön, wie die Route ist, und sehr detailliert. Ein absolutes Muss für Radler/innen! Ich buche bestimmt wieder hier!

  5. Bärbel Tiesmeyer sagt:

    Der Bericht war sehr hilfreich. Wir (60 + 66) wollen im nächsten Jahr als Teil unserer Deutschlandumfahrung mit dem Rad von Passau nach Ueckermünde fahren und dabei auch den Grünen Dach Radweg benutzen, allerdings dann in der anderen Richtung. Ist er von Süd nach Nord schwerer zu befahren oder tut sich das nichts? Ist es ein Muss über Bayerisch-Eisenstein und somit über oder am Großen Arber zu fahren? Wir würden uns sehr über eine Antwort freuen.

    • Bayernradler sagt:

      Hallo Frau Tiesmeyer,
      vielen Dank für Ihre konkreten Fragen zu dieser Radtour.
      Von Süd nach Nord ist diese Strecke anstrengender zu fahren. Sie müssen zuerst vom Donautal hinauf in den Bayer. Wald und dann wäre da noch die wunderschöne Etappe von Haidmühle über die Junge Moldau hinauf nach Bayerisch Eisenstein. Viele Höhenmeter müssen erstrampelt werden.
      Die restlichen Infos sende ich Ihnen per e-mail.
      Viel Spaß bei der Reiseplanung

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